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Unser Vorstandsmitglied Wolfgang Nick nimmt an der Konferenz zum „Atomwaffensperrvertrag“ in Genf teil und wird uns davon regelmäßig auf dem Laufenden halten.

Lesen Sie hier seine Berichte:

Sonntag, 21.7.: Wozu die Konferenz?
Dienstag, 23.7.: Erster Tag Vollversammlung
Mittwoch, 24.7.: weitere Generaldebatte
Donnerstag, 25.7.: Präsentationen der NGO’s
Freitag, 26.7.: Side Events
Montag, 29.7.: Abschluss
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Sonntag, 21.7. 2024:

Ich sitze im komfortablen Schweizer Zug und genieße die Fahrt nach Genf. Dort findet ab morgen, 22. Juli, die „NPT-PrepComm“ statt, eine internationale Konferenz der UNO. NPT steht für NonProliferation Treaty, das ist der nukleare Nichtweiterverbreitungsvertrag, bei uns heißt er meist Atomwaffensperrvertrag. „PrepComm“ ist eine Vorbereitungskonferenz – jaja, die Uno hat ihre eigene Sprache.  

Der Atomwaffensperrvertrag, NPT, ist 1970 in Kraft getreten. Er versucht die Verbreitung (Proliferation) von Atomwaffen zu verhindern: Die „anerkannten“ 5 Atommächte dürfen Atomwaffen nicht weitergeben, die Nichtatomwaffenstaaten dürfen keine annehmen oder selbst entwickeln. Die Atommächte haben dagegen die Verpflichtung übernommen, in „vertrauensvollen Verhandlungen“ diese Waffen abzuschaffen. Was sie bisher bekanntlich nicht tun, weswegen die große Mehrheit der Staaten mittlerweile auf den „Atomwaffenverbotsvertrag“ (TPNW) setzt, der Atomwaffen direkt abschaffen will und ihren Besitz für alle verbietet. 

Der NPT ist stark gefährdet:  Alle 5 Jahre gibt es ein Treffen der Vertragsstaaten, wo sie diskutieren, ob alle ihre Verpflichtungen einhalten usw. Seit einigen Jahren sind diese Treffen von Konflikten geprägt, denn die Nicht-Atomwaffenstaaten werfen den Atommächten vor, ihren Teil der Verpflichtungen (die Abrüstung) nicht einzuhalten. weswegen der Vertrag immer weniger Sinn mache… (Außerdem gibt es neben den 5 „alten“ Atommächten mittlerweile 4 „neue“, die den Vertrag nie unterschrieben hatten bzw. – Nordkorea – ihn gekündigt haben). 

Die Konferenz, an der ich teilnehme über das „ICAN-Ticket“ ist die Vorbereitungskonferenz für die eigentliche Überprüfungskonferenz, die 2026 in NewYork stattfindet. Dabei sind auch Beobachter aus der Zivilgesellschaft dabei, z.B. ICAN oder andere Initiativen. Ich bin gespannt auf den Ablauf, die Vermeidung des Atomkriegs ist ja unser größtes Problem!


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DIenstag, 23. Juli 2024

Gestern war der erste volle Konferenztag, für mich durchaus anstrengend. Zunächst wäre ich fast zu spät gekommen, denn ich war mit dem Bus zum falschen Eingang gefahren. Da war die tolle Flaggenparade von etwa 190 Staaten (Bild).  So musste ich noch 500m laufen und kam am bekannten Gandhi-Memorial (Bild) vorbei. 

Dann erst die Registrierung und der Sicherheits-Check.

Der große Konferenzsaal ist dann echt beeindruckend, einige Hundert Plätze mit Bildschirm, Ohrhörer und Mikro – und fast voll besetzt (Bild). Oben hat der Saal große Glasfenster, und immer wieder waren dort Besuchergruppen zu sehen, die miterleben, wie globale Diplomatie funktioniert!

Konferenzsaal

Nach der Eröffnung war der erste inhaltliche Beitrag der von Frau Nakamitsu, der Chefin von UNODA, das UN-Office of Disarmament Affairs. Eine sehr realistische Darstellung der aktuellen Situation: zunehmende Spannungen auf vielen Schauplätzen, gefährlichere Atomwaffen und auch Drohungen (explizit und implizit), neue und problematische technologische Entwicklungen (kurze Warnzeiten, Automatisierung, Cyber, Weltraum). Und dazu rapide schwindendes Vertrauen, keine effektive Rüstungskontrolle! Die Atomkriegsgefahr so groß wie nie zuvor!

Da wäre die Einhaltung und vollständige Umsetzung des Atomwaffensperrvertrags überlebenswichtig. Aber hier „hängt“ die Verpflichtung der Atommächte zur Abrüstung, und das seit Jahrzehnten! Hier der Redetext als pdf.

Der nächste Punkt war die allgemeine Aussprache, das wird mehrere Tage dauern. Einzelstaaten bekommen jeweils 5 , Zusammenschlüsse 8 Minuten. Aber oft wird überzogen. Die Liste enthielt 120 Redewünsche.

Was mir auffiel war, wie wenig hier kommuniziert wurde. Es gibt ein paar verschiedene Narrative, die immer wiederholt werden. 

Alle betonen die Wichtigkeit der 3 Säulen des NPT, nämlich Abrüstung, Nichtweiterverbreitung und freier Zugang zur zivilen Nutzung. Alle sehen die Gefahr für den Bestand des NPT, falls man sich wieder nicht auf ein gemeinsames Abschlussdokument einigen kann. Aber woran liegt das? Die nicht stattfindende(n) Abrüstung(sverhandlungen). Aber warum finden diese nicht statt? Da wird auf die angespannte Lage verwiesen, die Ursache davon ist aber wieder das fehlende Vertrauen und die vorhandenen Waffen. So schließt sich der Kreis. 

Gut, dass man da noch ein paar „Bösewichte“ hat, auf die man schimpfen kann: Iran und Nordkorea, dann Russland und China. Die Angegriffenen sind aber nicht ursächlich für die Malaise des NPT (meine Meinung). So wird man nicht zu einer Einigung kommen, das ist absehbar. Deshalb haben auch viele der Staaten den „neuen“ Atomwaffen-Verbotsvertrag als komplementäre Ergänzung des NPT unterschrieben, und das wurde in ihren Redebeiträgen klar genannt. 

Über den 2017 von der UN-Vollversammlung beschlossenen Atomwaffen-Verbotsvertrag will ich später mehr sagen, heute wird erstmal die unsägliche Generalaussprache fortgesetzt.  Bis demnächst!


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MIttwoch, 24. Juli 2024

Der Präsident bei seiner Arbeit

Gestern wurde die Generaldebatte fortgesetzt, in der jedes Land seine grundsätzliche Position darstellt. Diese Statements sind übrigens im Internet nachzulesen: Reachingcriticalwill.org/disarmament- fora/npt/2024/statements.

Erstaunlich viele der Staaten verwiesen dabei selbstbewußr auf den Atomwaffen-Verbotsvertrag. Deshalb soll dieser nun erläutert werden.

Der AVV (englisch TPNW, Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons) verbietet jegliche Aktivität mit Atomwaffen, von Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Transport bis zu – natürlich – Test, Einsatz und Drohung damit. Also wirklich ALLES. Wer dem AVV beitritt, verpflichtet sich selbst, solche verbotenen Handlungen zu unterlassen und in seinem Land gesetzlich zu verbieten. Atomwaffen sollen so delegitimiert werden. 

HIer der akt. Stand der Signatur-Staaten.

Auch Konstruktionen wie die Stationierung fremder Atomwaffen im eigenen Land sind damit unvereinbar, also etwa die „Nukleare Teilhabe“ von einigen NATO-Staaten (Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und Türkei), die eigene Atombomber bereithalten und Soldaten trainieren, die nach Freigabe durch die USA amerikanische Atombomben einsetzen können. Dies, obwohl diese Staaten den NPT als Nicht-Atomwaffenstaat unterzeichnet haben! Wie kann das völkerrechtlich „legal“ sein, frage ich mich.

Eine ähnliche Konstruktion gibt es jetzt wohl auch zwischen Belarus und Russland, diesmal heftig kritisiert von der NATO.

Warum übernehmen die AVV-Mitglieder freiwillig diese Verpflichtung? Sie möchten zeigen, dass sie lieber ohne Atomwaffen leben, da diese keinen Schutz bieten, sondern nur eine Zielkoordinate für den Gegner, also letztlich eine Gefahr sind. Sie wollen Vorbild für andere sein, sie wollen letztlich eine Verhaltensnorm voranbringen, dass Atomwaffen geächtet sind. 

Statt nur auf andere zu zeigen, die behaupten, sie könnten nicht abrüsten, weil die Verhältnisse noch nicht geeignet seien, wollen sie dieses internationale Klima selbst aktiv beeinflussen: Abrüstung ist möglich! So kann Vertrauen aufgebaut werden, Kooperation wird möglich usw.

Die Aussagen dieser Staaten zeigen eindeutig, dass es ihnen nicht darum geht, den NPT zu ersetzen. Vertragstreue im NPT ist Voraussetzung!  Aber die aktuelle Tendenz zu immer mehr Waffen, gesteigerter Konfrontation, Eskalation hin zum Krieg, Atomkrieg wird durchbrochen. Denn allen ist klar, dass dieser keinen Sieger hat, dass das zur globalen Katastrophe führt!

Heute wird wohl die Generaldebatte fortgesetzt. Da hätte ich insbesonders noch die Beiträge der NGOs zu berichten. Aber erstmal wieder rein in den Konferenzbetrieb! 

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Donnerstag, 25. Juli 2024

In meinem letzten Bericht habe ich bei der Darstellung des Atomwaffen-Verbotsvertrags einen wichtigen Punkt weggelassen. Dies ist nämlich der erste Vertrag, der den Opfern der Atomexplosionen (Kriegseinsätze, aber auch Testexplosionen) das Recht auf Entschädigung und den betroffenen Ländern das Recht auf „Wiederherstellung“ der Umwelt zubilligt – soweit das eben möglich ist. Verantwortlich dafür sind die Staaten, die die Explosionen durchgeführt haben. Die haben den AVV zwar nicht unterschrieben, aber alle anderen Staaten, denen es ökonomisch besser geht, haben die Pflicht, in entsprechende Töpfe einzuzahlen. Dieser Vertragsteil ist für die Strahlenopfer von großer Bedeutung, hier wird ihr Leid endlich anerkannt. Ebenso auch für die Länder, wo die Tests stattfanden, denn nun sind sie nicht mehr nur „Bettler“, sondern sie fordern ihr Recht. Und man mag es verblüffend finden, auch die deutsche Bundesregierung, die vom AVV gar nichts hält, hat angekündigt, dass sie Opferfonds unterstützen will. Warten wir mal ab, ob da was draus wird. Die Generaldebatte wurde jetzt abgeschlossen, nach 110 Beitragen. Jetzt kann ich einiges nachtragen: Vorgestern Nachmittag stand im Programm: Präsentationen der NGOs. Ich hatte erwartet, dass das ähnlich steril wird, wie die grundsätzlichen Einlassungen irgendwelcher Staaten. Es war ganz anders. Es war eine choreographierte Präsentation, die Reihenfolge der Beiträge war gut abgesprochen. Alle Redner saßen in einer Reihe nebeneinander, nur das aktive Mikrofon wurde von einem zum nächsten weitergeschaltet. Es begann mit einer Frau aus Japan, die als Kleinkind die Hiroshima-Atombombe glücklich überlebt hatte, danach ein Mann aus Nagasaki. Dann eine bekannte IPPNW-Frau aus Großbritannien, die die Wirkungen einer atomaren Explosion darstellte – „wir werden euch nicht helfen können“. Dann, soweit ich mich erinnere, ein Überlebender aus Kasachstan. Dann ein Überlebender von den Marshall-Inseln, wo viele der atmosphärischen Tests der USA durchgeführt wurden. Jetzt bringe ich die genauen Details nicht mehr zusammen. Bikini, die Weihnachtsinseln, Kiribati. Eine Rednerin der Western States Legal Foundation aus USA (ähnlich wie IALANA), die sich um die Opfer des Uranbergbaus in den Gebieten der First Nations kümmern. Dann das Thema Völkerrecht, die Kampagne „LAW not War“, dabei steht LAW für „legal alternatives to war“, dann die PNND (internationale Parlamentarier für Nichtweiterverbreitung und Nukleare Abrüstung), usw. Jung und alt, von überall auf der Welt. Insgesamt etwa 20 Beiträge für etwa anderthalb Stunden. Das hat mich tief berührt. Diese Beiträge sind wohl in der Konferenzdokumentation im Netz zu finden (erstellt von „Reaching Critical Will, eine Organisation der WILPF, women’s international league for peace and freedom – Danke an dieser Stelle).Ich frage mich: welchen Einfluss hat das auf die Delegierten der einzelnen Staaten, dieser Kontrapunkt zu Politik und Geostrategie?

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Freitag, 26. Juli 2024

Dies ist der vorletzte meiner Kurzberichte. Gestern wurde die Debatte zum Themenbereich Abrüstung und „Negative Security Assurances“ (NSA) fortgesetzt.

Mit NSA ist gemeint, dass die Atomwaffenstaaten gegenüber den Nichtatomwaffenstaaten (abgekürzt NNWS) die Verpflichtung übernehmen, diese nicht mit Atomwaffen anzugreifen oder damit zu drohen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Einige der Atomwaffenstaaten haben eine derartige Erklärung abgegeben. Aber teils an Bedingungen geknüpft, die sie selbst definieren. Die NNWS wollen aber eine völkerrechtlich belastbare Form, z.B. einen bei der UN hinterlegten Vertrag, der nicht so leicht und kurzfristig kündbar sein soll. Dies Thema ist auch schon lange auf dem Tisch. 

Außer der fortlaufenden Redenserie im Plenum gibt es noch die sog. „Side Events“ in kleineren Räumen. Hier können außer den Staaten auch die NGOs ein Thema vortragen und dann kann dazu diskutiert werden. Diese Side Events sind teils parallel zum Plenum, aber auch in der Mittagspause, von 13 bis 15 Uhr. Ich habe ein paar sehr interessante Side Events besucht, von denen ich erzählen möchte. 

Am Montag, den 22. Juli: „Untapping the potential of expanding NWFZ and the role of single states in a shifting world order“. Grob übersetzt: Wie kann man das Potential der zunehmenden atomwaffenfreien Zonen „anzapfen“ in einer sich ändernden Weltordnung. Was ist die Rolle von Einzelstaaten. 

Tatsächlich gehört etea die Hälfte der Erdoberfläche zu einer NWFZ (nuclear weapon free zone). Etwa ganz Afrika (Vertrag von Pelindaba), Lateinamerika und Karibik (Vertrag von Tlatelolko), Südostasien (Vertrag von Bangkok), dazu Zentralasien… Ich bringe jetzt nicht alle aus dem Kopf zusammen. Diese Verträge sind alle unterschiedlich, aber das macht nichts, das ist die Botschaft. Dadurch kann auf die jeweilige Situation eingegangen werden. Ein Sonderfall ist die Mongolei, die leider keine Nachbarn hat, mit denen sie so einen Vertrag abschließen könnte. Das Problem in all diesen Fällen ist, dass sie von den Atommächten die förmliche Anerkennung haben möchten, daß diese dies grundsätzlich respektieren werden, und daran hapert es dann.

Am Dienstag, den 23. Juli: „Achieving the Impossible: Peace and Disarmament in the Middle East“. Das Unmögliche schaffen: Frieden und Abrüstung im mittleren Osten.

Das ist, wie man sich denken kann, ein sehr schwieriger Fall, der in solcher Kürze nicht darstellbar ist. Bei der Verlängerung der Laufzeit des NPT wurde eine Konferenz uber eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen (WMDFZ) in Mittelost zur Bedingung gemacht und auch beschlossen. Eine Initiative (METO) begann zu arbeiten und hat schon bemerkenswertes erreicht, 22 Staaten sind dabei von Algerien bis Iran, auch die Atommächte außer den USA, aber aus Israel „nur“ eine bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Gruppe, eben nicht der Staat. Mehr kann ich so nicht berichten, ich bin gespannt, ob etwas hiervon in die Schlusserklärung kommt (falls es eine gibt).

Am Mittwoch, den 24.7.: „Advancing the Global Agenda of a Nuclear Weapons Free World“, wie kriegen wir die globale Atomwaffenfreiheit auf die Tagesordnung?

Da war viel Prominenz: eine Botschafterin Österreichs, der Bürgermeister (? Governor der Region) von Hiroshima, eine Vize-Bürgermeisterin von Nagasaki, und weitere. Da gibt es ein internationales Projekt, dass für das nächste Update der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) unbedingt die Abschaffung der Atomwaffen dazu muss (2045). Denn ohne dies können die anderen Ziele die Welt nicht retten!

Gestern, den 25.7.:  „NATO’s Nuclear Sharing Arrangements: Challenges to the NPT“ – Die „nukleare Teilhabe“ der NATO: eine Herausforderung für den NPT?

Hier wurde eine Studie des chinesischen Thinktanks CACDA vorgestellt, die die Kompatibilität dieser NATO- Konstruktion mit dem NPT gründlichst analysiert. Das Ergebnis: dies stellt eine Proliferation, eine Weitergabe von Atomwaffen – zumindest im Kriegsfall dar, und ist deshalb eine Vertragsverletzung!

Das war für mich nichts Neues, allerdings hier jetzt mit ausführlicher Vertragshistorischer Begründung. Ich habe ein Exemplar der Studie erhalten.  Das gab natürlich viel Diskussion, die NATO behauptet ja ständig, das Nuclear Sharing sei älter als der NPT, es sei in den Verhandlungen berücksichtigt worden und deshalb vertragskonform. Außerdem hätte niemand in den 45 Jahren danach die Vertragsverletzung reklamiert!

Genau dies ergab am Schluss des Tages eine heftige Kontroverse zwischen einigen NATO-Staaten, der Ukraine und Russland, wobei vieles nicht zum diplomatischen Stil Passendes zu hören war.

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Montag, 29. Juli 2024

Jetzt über’s Wochenende habe ich zwei schöne Wanderungen gemacht – und mir überlegt, wie ich meine Eindrücke zusammenfassen will.  Ich will aber darauf hinweisen, dass es meine erste NPT-PrepComm ist. Ich schätze, dass vielleicht 100 Staaten vertreten waren und halb so viele NGOs, teils aber mit mehr Vertretern. 

Genf und der Genfer See, gesehen vom Saleve, dem Genfer Hausberg.

In fast allen Reden wurde die Hoffnung geäußert, das die kommende Reviewkonferenz (2026) zu einem Konsens führt und nicht zum dritten Mal hintereinander scheitert. Offensichtlich würde es bei einem Mißerfolg zu einem Glaubwürdigkeitsverlust kommen, und das wäre schlimm, denn der NPT wird von allen gelobt als ein Eckpfeiler der internationalen Ordnung, trotz gewisser Geburtsfehler. 

Bei der Beschreibung der Ursachen für diese Krise gibt es zwei Lager. Die größere Gruppe (viele Staaten des Globalen Südens, aber nicht nur!) sieht das Problem darin, dass seit der unbegrenzten Verlängerung des NPT (1995) der Pfeiler „Abrüstung“ von den Atomwaffenstaaten völlig vernachlässigt wurde, einige sprechen konkret von der Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten der Atomwaffenstaaten. Dazu kommt, dass inzwischen ein qualitatives Wettrüsten der begonnen hat. Verschärft wird die Lage durch neue Technologien: schnellere und präzisere Raketen, kürzere Warnzeiten, zunehmende Automatisierung, zukünftig wohl auch Einsatz von künstlicher Intelligenz (englisch AI, artificial intelligence), dazu kommt die starke Abhängigkeit der Kommandosysteme der Atomwaffenstaaten vom Weltraum.  

All dies zusammen ergibt eine dramatische Erhöhung der Atomkriegsgefahr, anschaulich gemacht durch die 90 Sekunden vor 12 der Doomsday-Clock. Der UN-Generalsekretär Peres de Cuellar hat dies so ausgedrückt, dass das Schicksal der Menschheit „auf Messers Schneide“ steht, nur eine menschliche oder technische Fehlentscheidung vor der ultimativen Katastrophe. Die Zuspitzung der Spannungen zwischen dem Westen und Russland ist dann der letzte Kick, jetzt dringend nukleare Abrüstung zu fordern. Sie verlangen von den Atommächten nicht nur die Zusicherung der Abrüstung irgendwann, sondern verbindliche Zeitpläne, konkrete Schritte und regelmäßige Reports.

In dieser Gruppe finden sich die Staaten, die den Atomwaffen-Verbotsvertrags unterstützt / unterschrieben / ratifiziert haben – und sie vertreten dies selbstbewusst als ihren spezifischen Beitrag, die Voraussetzungen für die nukleare Abrüstung zu schaffen.

Die andere Staatengruppe, im wesentlichen sind das die USA zusammen mit denjenigen, die sie unter Ihren „Atomschirm“ genommen haben, also ihre NATO-Verbündeten in Europa sowie Japan, Australien, Südkorea. Diese Gruppe ist nicht so groß wie die erste, aber sehr einflußreich im derzeitigen Weltwirtschaftssystem. Sie sehen den Hauptschuldigen in Russland, das durch seinen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine die Weltordnung zerstört habe, was die geforderte zeitnahe Abrüstung der Atomwaffen verhindert. Aus dieser Perspektive ist erstmal die Rettung der Welt nötig, alles andere kann/muss später kommen (natürlich wird das nicht so hart gesagt).  Ergänzend kommt dann die Forderung nach vollständigem Rückzug hinzu und unsbesondere die Rückgabe des grossen Atomkraftwerks Saporishnija, damit die IAEA als für nukleare Sicherheit zuständige Institution da im Auftrag der Ukraine für Ordnung sorgen kann. Die Angst vor einer Tschernobyl-ähnlichen radioaktiven Katastrophe ist einé Gemeinsamkeit aller  Konferenzbeiträge, wobei offen bleibt, ob der konkrete Auslöser durch die russischen Besatzer oder durch ukrainischen Beschuss zustande kommt.

Die Verurteilung Russlands ist fast so etwas wie ein Credo, das in jeder Rede diesér Grupp an prominenter Stelle gebracht wird. Natürlich appellieren sie an die Konferenz, die Verurteilung Russlands allgemein zu unterstützen. Das ergibt dann den ersten Knackpunkt für ein gemeinsames Schlussdokument, denn wie soll Russland da zustimmen?

Auch Russland sieht die derzeitige  Weltlage als Hinderungsgrund für die geforderte nukleare Abrüstung. Allerdings sind die genannten Ursachen total konträr zur US-Aussage. Es ist hier jetzt die NATO-Ausdehnung in den osteuropaischen Raum, im Widerspruch zu Versprechungen von 1990. Das gab natürlich kontroverse Gegenrede-Duelle. Da wurde behauptet, sowas sei nie ein Gesprächsthema gewesen, also kann es auch nicht versprochen worden sein. Die freie Bündniswahl der neuen Staaten sei doch selbstverständlich. Es wurde bestritten, dass Russland von der NATO bedroht werde, denn die NATO sei seit ihrer Gründung doch rein defensiv.  Da war vieles sehr Undiplomatisches von beiden Seiten zu hören!

Natürlich sei die „Nukleare Teilhabe“ der NATO bei den NPT-Verhandlungen (vor 1970) berücksichtigt und folglich vertragskonform, und 45 Jahre lang hätte niemand das bestritten. Russland behauptet, mit der Stationierung von russischen Atomwaffen in der Belarus und der entsprechenden Ausbildung belarussischer Piloten etwas Vergleichbares wie die NATO zu tun. Das sei aber ganz unvergleichlich, so die Gegenseite, nämlich gefährliche Eskalation und unverantwortlich!

Auch hier also ein chaotisches Durcheinander von Fakten und Behauptungen, die mit großer Emphase vertreten. Nichts von emotionsarmer Diplomatie. 

Chinas Position soll hier ebenfalls kurz dargestellt werden. Die USA mit ihren Verbündeten versuchen – meines Erachtens bisher  vergeblich, China ebenso massiv anzugreifen wie Russland. Gigantische Aufrüstung, aggressives Auftreten – da fällt mir eher der „große Bruder“ USA ein. Sie weigern sich, mit den USA so wie diese mit Russland zu verhandeln. Aber das US-Atomwaffenarsenal samt Einsatzmiteln (hier: Flotte) ist um Faktoren größer. Statt Verhandlungen über die Zahlen hat China einen ganz anderen Vorschlag: Ersteinsatz-Verzicht.  China hat dies bereits seit längerem für seine Atomwaffenstrategie erklärt. Nur Worte, oder eine Möglichkeit zur Risikominderung?  Man sollte es nicht leichtfertig abtun.

Wenn die öffentlichen Beiträge im Konferenzsaal zu Ende gehen, beginnt eine Phase hinter geschlossenen Türen. Kann der Vorsitzende dieser Konferenz die Divergenzen irgendwie überwinden? Gibt es irgendwo Gemeinsamkeiten, die von allen (vielen?) als so wichtig angesehen werden, dass dagegen der jeweilige Hickhack mal zur Seite gestellt werden könnte?  

So ein Thema sollte meiner Meinung nach die Verhinderung des atomaren Infernos sein.  Die Länder des Südens, die von atomarer Abschreckung wirklich nichts zu gewinnen haben, können die ihre selbstbewusste Forderung nach realer Abrüstung durchhalten – gegen die seltsame Koalition der Atommächte, die sich „auf’s Blut bekämpfen“, hier aber de facto zusammenstehen – gegen eine Mehrheit, die endlich Schluss machen will mit dieser Risikopolitik, bei der wir alle Geiseln, Opfer sind oder werden?

Ich muss zugeben, dass ich nach einer Woche hier in Genf nicht optimistischer geworden bin.  Wir dürfen nicht aufgeben, nicht hoffen, dass die Lösung von selbst, von so einer internationalen Konferenz kommt!

Ich möchte mit einem Bonmot schließen, das Martin Otto öfters verwendet:

„Der Atomkrieg ist unmöglich“ sagt die Optimistin. „Der Atomkrieg ist unvermeidbar“ sagt die Pessimistin. „Der Atomkrieg ist unvermeidbar, wenn wir ihn nicht unmöglich machen“ sagt die Realistin.

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Hiermit wird der Bericht aus Genf zur NPT-Konferenz geschlossen. Wir vom Kaulquappenteam bedanken uns ganz herzlich für Deinen Bericht, Wolfgang. Wir wünschen Dir eine gute Heimfahrt – am Hiroshimatag in Nürnberg sehen wir uns wieder!

Bericht aus Genf